Roscoff - Nachtfahrt komplett
Am 13.7. sind wir ja zum ersten Mal zu zweit durch die halbe Nacht gefahren. Das war nur die Vorübung und im Nachhinein schwieriger als eine komplette Nacht, denn wir mussten ohne Übergangszeit aus dem relativ hellen Hafen in die unbekannte Nacht fahren.
Am 17./18. Juli sind wir eine komplette Nacht von Cherbourg
nach Roscoff gefahren (das waren 121 sm in 20 Stunden) . Das war nicht ganz
freiwillig, denn ursprünglich wollten wir einen Zwischenstopp auf der super
interessanten und schönen Insel Guernsey machen. Aber Corona lässt grüßen ☹.
Adieu Cherbourg
Wieder war der Startzeitpunkt durch die Gezeiten und den
Wind bestimmt. Samstag 14:00 Uhr war optimal. Der Wind sollte von NW mit 10-12kn
kommen und am Cap de la Hague gibt es 3.5kn mit dem Strom.
Anmerkung: Wind NW bedeutete für unseren Kurs Wind genau von
achtern. Hört sich gut an, ist es aber nicht: Es droht eine Patenthalse, bei
der der schwere Baum plötzlich von der einen zur anderen Seite rast und alles
niedermacht, was ihm in die Quere kommt. Schäden sind vorprogrammiert. Das kann
man aber vermeiden, indem man einen Bullenstander setzt. Eine Leine wird von
der Baumnock (Ende des Baumes) nach vorne gespannt und hält den Baum fest. So
etwas haben wir natürlich.
Die erste Stunde war super: Segeln mit Sonne und etwas Strom von vorne.
Leider schlief der Wind ein und ab jetzt mussten wir Motoren. Nicht nur ökologisch ein Desaster, sondern auch unangenehm laut und langweilig. Immerhin hatten wir die Segel so gut wie möglich benutzt, um etwas schneller zu werden. Insgesamt haben wir in der Nacht etwa 10 mal die Segel geborgen und wieder gesetzt.
Trotzdem war es toll, denn die Gezeiten waren bis um 00:00 Uhr mit uns: Vorbei am Cap, Alderney ca. 18:00 Uhr an Steuerbord liegen gelassen und
auf der Backbordseite tauchte dann Guernsey im Dunst auf.
Zwischen den beiden Inseln sind wir dann Richtung SW gefahren bis wir etwas weiter nach Süden drehen konnten.
Jersey im Hintergrund
Auf dem direkten Weg nach
Roscoff liegt die Banc des Langustieres, an der viele Fischer aktiv sind und man
sich besser freihält (Abstand).
Ein anderes Boot war zwischen den Inseln auf dem gleichen Kurs
Um 19:00 Uhr gab es dann das von Susanne vorbereitete Abendessen: Linsensalat mit roter Beete und dazu ein sehr großes und leckeres Baguette mit Käse.
An Land ist das schon ein Genuss, aber auf dem Meer unschlagbar. Tja, tut
mir leid für euch, da müsst ihr schon selber auf Nachtfahrt gehen, um dies wirklich
nachzuvollziehen!
Wir wollten uns bei dieser Premiere unterstützen und waren bis
auf kurze Nickerchen die ganze Zeit wach. So ergab sich, dass wir das komplette
Tag/Sonnenuntergang/Nacht/Sonnenaufgang Schauspiel erleben konnten.
Die Dämmerung setzt ein. Kein Problem solange Susanne lacht!
Im Westen begleitete uns ein langer Sonnenuntergang.
Es ist
ein Genuss so etwas in Ruhe und in Echtzeit zu erleben. Wie sich die Farben langsam verändern,
wie die Schattierungen im Meer glitzern. Die Temperatur abnimmt und die See
sich etwas beruhigt. Erst auf einer Segelreise kann man so etwas derart
intensiv erleben, denn man hat ja alle Zeit.
Dann wird die Sonne und vom Mond abgelöst.
Der Halbmond direkt voraus leitete uns für einige Stunden. Auch hier gibt es wieder ein tolles Farbspiel wenn der Mond silbrig im grauen Wasser reflektiert wird.
Nach und nach trat der Mond von der Bühne ab und die Sterne
konnten sich in Szene setzen. Es ist unheimlich beeindruckend wie viele
Sternhaufen wir noch nie gesehen haben. Und bei uns in Marbach hat man sehr
selten /nie die Gelegenheit die Milchstraße von Horizont zu Horizont zu sehen.
Es war so hell, dass man jederzeit den Horizont vom etwas dunkleren Meer
unterscheiden konnte.
An Backbord konnte man im Himmel den schwachen Widerschein der französischen Küstenstädte erahnen, ansonsten waren wir alleine.
Begleitet wird die Aufführung von einer sanften Ruhe –
magisch. Nur das Rauschen des Wassers (GRRRR und leider der Motor) untermalten
das Erlebnis.
Ab 00:00 Uhr 18.7.21 hatte Kristin Geburtstag und statt unser
Schauspiel mit einer Theaterpause zu unterbrechen, hatten wir Muße ein besonderes
Geburtstagsgrußvideo zu erstellen. 30 Sekunden nach 00:00 Uhr, auf dem Meer, mit Mond,
bei Dunkelheit, schon etwas müde nahm ein schrecklich schiefes Happy-Birthday Video
seinen Weg Richtung Ludwigsburg.
Ab dem dunkelsten Moment dieser Nacht drehte sich das
Schauspiel mit anderen Nuancen um. Im Rücken kam die ersehnte Morgendämmerung
auf, denn es war mittlerweile kühl und überall setzte sich Feuchtigkeit ab. Wir
waren sehr froh, dass nur wenige Stunden zwischen Sonnenunter und -aufgang
liegen.
Vor Roscoff konnten wir nochmals Segeln. An Backbord ca. 1/2 sm gab es einen kleinen
Vogelschwarm. Schlanke Vögel stürzten sich wie Pfeile ins Meer und fingen Fische.
Wo es einen Fischschwarm gibt sollten doch auch Delphine sein? Und richtig, im
selben Moment schoss ein Delphin aus dem Wasser, flog ein paar Meter und verschwand
wieder.
Ende der Show.
Danke, Susanne, dass du dich auf diese Strapazen eingelassen
hast!
Wir haben innerhalb eines Tages unheimlich viele verschiedene
Emotionen und Eindrücke erlebt. Viel mehr als an einem normalen Arbeitstag in
Marbach möglich ist:
- Schlafmangel durch Aufregung
- Zweifel ob wir es schaffen, ob die Route stimmt und die Entscheidungen richtig sind
- Kälte und Feuchtigkeit kriecht in den Segelanzug
- viel unbequemer als das eigene Bett
- die ganze Nacht auf Posten bleiben
- „gefährlicher“ als die S-Bahn
- etwas zum ersten Mal tun (Wann habt ihr zuletzt etwas zum ersten Mal getan?)
- anstrengend und auch mal langweilig
- Aufregung, wenn ein Fischerboot vor dem eigenen Bug Pirouetten dreht.
- eine Unruhe, denn es ist ungewiss, was kommen mag
- auf der Cockpitbank im Sitzen einschlafen. Susanne hatte eine bedenkliche Schieflage und drohte gegen die Winsch zu kippen; ich musste sie kurz wecken:

- Gemeinschaft
- Zeit zum Nachdenken
- Monotonie der Wellen
- wie die ersten Sonnenstrahlen das Gesicht erwärmen
- wie gut der erste Kaffee am Morgen schmeckt
- die Erleichterung es geschafft zu haben
- in einem Hafen anzukommen und das Boot am Steg festzumachen
- in einer sonnigen Bar zu sitzen und das Erlebte Revue passieren zu lassen
Wir haben es erlebt!
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